Koblenz Postkolonial – Verortung kolonialer Vergangenheit in Koblenz und Umgebung
Personen
→ GUSTAV NACHTIGAL
Gustav Nachtigal wurde am 23. Februar 1834 in der Kleinstadt Eichstedt in Sachsen-Anhalt geboren. Nach einem Medizinstudium in Halle, Würzburg und Greifswald wurde er preußischer Militärarzt in Köln. Eine Lungenerkrankung verlangte nach dem Umzug in ein trockenes, warmes Gefilde, weswegen er 1863 als Leib- und Feldarzt nach Nordafrika ging. Dort widmete er sich dem Studium der arabischen Sprache und naturkundlichen Beobachtungen. 1868 lernte er den afrikanischen Forschungsreisenden Gerhardt Rohlfs kennen, der ihn für eine Expedition durch die Sahara mit dem Auftrag, dem Sultan von Bornu Geschenke des Königs Wilhelm I. von Preußen zu übergeben, engagierte. Die Geschenke waren ein Dank für Sultan Scheich Omars Unterstützung deutscher Forschungsreisender. Die Mission dauerte von Februar 1869 bis August 1874. Unter dem Deckmantel des diplomatischen Zweckes hatte Nachtigal das Ziel, die von Europäer*innen unberührten Teile Nordafrikas zu erforschen und förderte entscheidend die Ethnologie und Sprachwissenschaft für das nördliche Afrika. Nachtigal veröffentlichte die Resultate seiner Reise in dem dreibändigen Werk „Sahara und Sudan“, welches im europäischen Raum als einer der bedeutendsten Beiträge zur Afrikaforschung gilt.
1882 wurde Nachtigal zum Generalkonsul des Deutschen Reiches in Tunis ernannt und 1884 als Reichskommissar nach Westafrika entsandt, wo er deutsche Handelsinteressen an der westafrikanischen Küste schützen und weiterhin den Zugang zum Binnenland aufrechterhalten sollte. 1884 startete Nachtigal von Lissabon eine Reise an die Westküste Afrikas, wo er die deutschen Schutzgebiete Togo, Kamerun und Südwestafrika ausrief. In dieser Tätigkeit genehmigte Nachtigal die Landkaufverträge von Lüderitz.
Zurück in Deutschland schrieb Nachtigal seine Erfahrungen nieder. In seinen Schriften kritisierte er das Kolonialsystem teilweise stark. Er wurde Mitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Bereits ein Jahr später, am 20. April 1885, starb Nachtigal an Tuberkulose.
Quelle: 10
→ ADOLF LÜDERITZ
Adolf Lüderitz wurde am 16. Juli 1834 in Bremen als Sohn eines wohlhabenden Tabakhändlers geboren. Nach einem Aufenthalt in den USA und dem erfolglosen Versuch, in Mexiko eine Plantage aufzubauen, übernahm er 1878 das väterliche Geschäft.
Der Versuch einer Geschäftsniederlassung im südlichen Afrika scheiterte jedoch ebenfalls. Mit dem Ziel, eine deutsche Kolonie in Südafrika zu gründen, erwarb Lüderitz die Unterstützung des Kaufmannes Heinrich Vogelsang, der mit Kaptein Josef Frederiks, dem traditionellen Führer der Nama, Verträge für die Bucht Angra Pequeña abschließen konnte. Dabei kam es zu dem, was heute in der Geschichtswissenschaft als „Meilenschwindel“ bekannt ist. Während die Nama im Glauben waren, dass der Vertrag in der ortsüblichen Maßeinheit der englischen Meilen war, die ca. 1,6 km betrugen, rechneten die Deutschen in den 7,5 km langen deutschen Meilen und betrogen so die Nama.
Lüderitz ertrank am 24. Oktober 1886 bei einer Expedition. Nach seinem Tod wurde er als erster Landbesitzer in Deutsch-Südwestafrika als Held gefeiert. Neben der in der Bucht Angra Pequeña entwickelten Stadt wurden auch in vielen deutschen Städten Straßen nach ihm benannt - so auch in Koblenz. Seit einigen Jahren ist die Ehrung seines Namens weltweit umstritten. So ist beispielsweise die Lüderitzstraße in Berlin in Cornelius-Frederiksstraße umbenannt worden, um so den Aufstand der Nama gegen die deutsche Kolonialbesetzung zu würdigen. Cornelius Frederiks war ein indigenen Führer, der auf Seiten der Nama aktiv gegen die Deutschen kämpfte. Ebenfalls wird diskutiert, ob die Stadt Lüderitz in Namibia umbenannt werden soll.
Quellen: 13, 14, 15
→ LUDWIG PHILIPP ALBERT SCHWEITZER
Albert Schweitzer, bekannt als „Urwaldarzt“, wurde am 14. Januar 1875 in Kaysersberg bei Colmar geboren. Er studierte zunächst Theologie und Philosophie in Straßburg, anschließend Orgel und Klavier in Paris. Nach seiner Habilitation in evangelischer Theologie studierte Schweitzer von 1905-1913 wieder in Straßburg Medizin.
1912 reiste er mit seiner Frau nach Äquatorialafrika, um mit privaten Mitteln am Ogooué, einem Fluss in Gabun, das Hospital Lambaréné zu gründen. Dies lag damals in der Kolonie Französisch-Äquatorialafrika. Schweitzer wird ein paternalistischer und herablassender Umgang mit den Einheimischen und den Arbeitskräften in seinem Hospital nachgesagt. Außerdem soll das Hospital, dem amerikanischen Journalisten Gerald McKnight zufolge, unhygienisch und chaotisch gewesen sein und nicht dem entsprochen haben, wie es in Europa proklamiert wurde. Auch die Bewertung seiner Tätigkeit als Entwicklungszusammenarbeit bzw. als Hilfe zur Selbsthilfe wird hinterfragt, da er sich weigerte, die lokale Bevölkerung zu Arzthelfer*innen auszubilden.
1952 wurde Schweitzer mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und verstarb 1965. Die Auszeichnung und das Ansehen seiner Persönlichkeit bleibt bis heute umstritten.
Quellen: 11, 12
→ WILHELM ZU WIED
Wilhelm Adolph Maximilian der V. Fürst zu Wied, auch Wilhelm zu Wied genannt, wurde am 22. August 1845 in Neuwied geboren und verstarb am 22. Oktober 1907 in seinem Geburtsort. Er war Leutnant und am Deutsch-Französischen Krieg beteiligt, ist aber vor allem als Verfechter der Kolonialpolitik bekannt.
In den Jahren 1891 und 1892 war er Vorsitzender des Deutschen Antisklaverei-Komitees, das sich vordergründig der Abschaffung der Sklaverei widmete. Zwar wurde die Öffentlichkeit durch die Aktivitäten des Komitees auf das Thema des transatlantischen Skavenhandels aufmerksam gemacht; gegenüber den ökonomischen Zielen des Komitees in den deutschen Kolonien – etwa der Finanzierung von Forschungsreisen – rückte diese Informationsfunktion aber in den Hintergrund. Ab 1897 war Fürst zu Wied zudem Mitglied im Kolonialrat. Die Tätigkeitsfelder des Kolonialrates umfassten die Bereiche des Eisenbahnbaus, der Plantagenwirtschaft, der Schifffahrt und des Missionswesens in den deutschen Kolonien. Zudem war Wilhelm zu Wied Gründungsmitglied des Deutschen Flottenvereins (seit April 1889) und von 1898 bis 1901 auch dessen Präsident. Der Deutsche Flottenverein wurde im Zuge kolonialer Machtbestrebungen gegründet, um nach dem Vorbild der Marine anderer Großmächte wie Großbritannien an der Weltpolitik und am wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben.
Quelle: 4
→ MAXIMILIAN ZU WIED-NEUWIED
Maximilian zu Wied-Neuwied wurde 1782 in ein adliges Elternhaus in Neuwied geboren und genoss eine gute schulische Bildung. Der Familientradition folgend schlug er 1802 eine militärische Laufbahn ein und kämpfte in den napoleonischen Kriegen auf der Seite Preußens. Danach widmete er sich naturwissenschaftlichen Studien, die ihm als Vorbereitung für eine Übersee-Reise dienen sollten. Während eines Aufenthaltes in Paris knüpfte er Kontakte zu Alexander von Humboldt, der ihn zu einer Forschungsreise in die portugiesischen Kolonien Brasiliens ermutigte.
1815 reiste Wied-Neuwied über London nach Rio de Janeiro. Vorerst galten seine Interessen der Tier- und Pflanzenwelt in den Küstenregionen von Rio de Janeiro bis ins nördliche Salvador da Bahia. Diese erforschte er mithilfe des Ornithologen Georg Wilhelm Freyreiss (1781-1825) und dem Botaniker Friedrich Sellow (1789-1831). Nebenbei erkundete er außerdem die dort lebende indigene Bevölkerung und verfasste seine ersten Werke: „Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 bis 1817“ und „Beiträge zur Naturgeschichte Brasiliens“, die in Europa viel Aufmerksamkeit erlangten.
1832 startete er seine zweite Forschungsreise in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er die indigene Bevölkerung erforschen und sie mit der brasilianischen vergleichen wollte. Er durchquerte die heutigen USA von Ost nach West an der Seite des Schweizer Malers Karl Bodmer (1809-1893) und des Jägers David Dreidoppel. Eine Reise in die Rocky Mountains konnte aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen den dortigen indigenen Gruppen nicht stattfinden. Im Frühjahr 1834 kehrte er nach Europa zurück, wo er 1837 das zweibändige Werk „Reise in das innere Nord-America in den Jahren 1832 bis 1834“ veröffentlichte. Dieses Werk gilt als wichtige Dokumentation über die nordamerikanische indigene Bevölkerung, da er einer der wenigen Ethnologen des deutschsprachigen Raumes war, der sich zu dieser Zeit des Umbruchs und der Kolonisierung Nordamerikas mit deren Kultur befasste und sie dokumentierte. Die Universität Jena verlieh Maximilian zu Wied-Neuwied die Ehrendoktorwürde für seine wissenschaftlichen Werke. Außerdem sind seine Aufzeichnungen Vorlagen für zahlreiche Romane und Wild-West Fantasien, darunter auch Karl Mays Werke. Diese prägen bis heute die europäische Vorstellung indigener Gruppen in Nordamerika.
1867 starb zu Wied-Neuwied im hohen Alter an einer Lungenentzündung und wurde im Familiengrab am Schloss Neuwied, nahe Koblenz, beigesetzt.
Quellen: 16, 17, 18
→ MAX WEIDTMAN
Max Weidtman wurde am 1. März 1858 in Dortmund geboren. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung bei der Bahn-Direktion als Diplomingenieur kam er um 1895 nach Lüderitzbucht in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Dort war er für die Frischwasserversorgung der Bevölkerung sowie für den Eisenbahnbetrieb in der Kolonie zuständig. Nach dem Fund von Rohdiamanten schloss Weidtman gemeinsam mit zwei weiteren Deutschen einen Vertrag über Schürfrechte ab und gründete die Schürfgesellschaft „Kolmannsgruppe“. Die Erlaubnis dafür musste nur von der vor Ort agierenden „Lenz & Co. GmbH“, einer heute noch existenten, auf den Bau und Betrieb von Eisenbahnnetzen spezialisierten deutschen Gesellschaft eingeholt werden. Mit einheimischen Institutionen oder Verantwortlichen wurde nicht verhandelt. Die Kolmannsgruppe arbeitete äußerst gewinnbringend, da sie unabhängig von staatlichen Regulierungen tätig sein konnte, weswegen Max Weidtman bei seiner Rückkehr nach Deutschland 1909 ein vermögender Mann war.
Weidtman heiratete im gleichen Jahr Lotte Schürmeister, die er in Lüderitz kennengelernt hatte. 1912 zog er mit ihr und den gemeinsamen Kindern nach Koblenz, genauer in den Stadtteil Metternich. Er kaufte dort das „Schloss Himmrode“, welches er zum „Haus Weidtman“ umbenannte und baulich erweiterte. Er ließ außerdem ein Windrad bauen, um die Wasserversorgung des hoch gelegenen Anwesens zu gewährleisten.
Max Weidtman versuchte sich in seine neue Nachbarschaft einzufügen, was ihm durch Feste für die Metternicher Bewohner*innen, seine spätere Arbeit als 1. Verordneter der Gemeinde Metternich, sowie seinen Einsatz für wohltätige Zwecke wie auch großzügige Spenden gelang. Dazu zählt auch die Erbauung eines Kriegerdenkmales, der Metternicher Eul. Das spätere Leben der Familie Weidtman wurde durch den 1. Weltkrieg geprägt, der materielle Wohlstand schwand erheblich. 1921 verstarb Weidtman.
Nach seinem Tod wurde Max Weidtman in positiver Erinnerung behalten. Aus seinem Nachlass wurden erhebliche Summen an die Ortsarmen gespendet, später erhielt der Kameradschaftsverein, in dem er Ehrenmitglied war, 1000 Mark für Kriegsbeschädigte und Veteranen. 1929 kam es zu einem politischen Konflikt in Bezug auf die Umbenennung des Winkelpfades in Metternich zur „Weidtmannstraße“, da SPD und KPD dagegen stimmten. Die Gründe hierfür sind nicht belegt, laut Petra Weiß wird vermutet, sie hätten in Weidtman einen Kapitalisten und Klassenfeind gesehen. Der zweifelhafte Ursprung seines Reichtums wurde jedoch nicht thematisiert.
Quelle: 3
↑ Haus Weidtman (Foto: Martin Lilkendey)
→ LEO FROBENIUS
Der Ethnologe Leo Frobenius (29. Juni 1873 in Berlin – 9. August 1938 in Biganzolo) war einer der letzten großen Forschungsreisenden, eine „schillernde und abenteuerliche Erscheinung, Erweckungsprediger und Begründer ganzer Forschungszweige zugleich“ (Fritz Kramer). Er gehört zu den bedeutendsten, gleichzeitig aber auch umstrittensten Fachvertretern in Deutschland und hinterließ ein Lebenswerk, das durch Materialfülle und thematische Vielfalt beeindruckt. Mit seinem Charisma gelang es Frobenius, Bewunderer aus Wissenschaft, Politik und Industrie um sich zu versammeln, die ihn als genialen Verkünder einer neuen Kulturtheorie feierten, als verkanntes Genie, das angesichts widriger gesellschaftlicher Verhältnisse ihre Unterstützung verdiente. In gebotener Kürze lassen sich sein Leben und Werk wahrscheinlich am besten anhand zweier wesentlicher Paradoxien charakterisieren:
1. Der Autodidakt Frobenius strebt nach einer gesicherten akademische Position, findet jedoch vor allem in Bildungsbürgertum und Hochfinanz der Weimarer Republik breite Resonanz.
Den Weg zur Völkerkunde beschreitet der junge Frobenius als Amateur und Autodidakt: ohne Abitur absolviert er eine Kaufmannslehre in Bremen und arbeitet als Volontär an den völkerkundlichen Museen in Bremen, Basel und Leipzig. Der Umstand, dass er zweimal daran scheitert, sich zu promovieren, entfernt ihn zwar von der Akademie, hindert ihn aber nicht an einer umfangreichen Publikationstätigkeit, zu der unzählige wissenschaftliche Abhandlungen zu theoretischen und kulturhistorischen Fragen zählen, 195 Reisetagebücher sowie eine eindrucksvolle Sammlung afrikanischer Märchen und Felsbilderzeichnungen (die u.a. 1937 im Museum of Modern Art gezeigt wird). Hinzu kommt der Ertrag einer regen Sammeltätigkeit während seiner insgesamt 12 Forschungsreisen in Afrika, die er – noch ganz im Stile der „Expeditionen“ des 19. Jahrhunderts – im Zeitraum von 1904 bis 1935 organisiert. Dabei wird er vor allem von den Völkerkundemuseen in Bremen und Hamburg sowie Vertretern der deutschen Industrie finanziell unterstützt, für eine Reise in die Sahara (1914) auch von Kaiser Wilhelm II. persönlich. Diese beeindruckende Bilanz führte in Verbindung mit einem außergewöhnlichen Talent zur Selbstdarstellung dazu, dass er Anfang der 1920er Jahre sein „Institut für Kulturmorphologie“ in München (heute: Frobenius-Institut in Frankfurt) gründen konnte und Mitte der 1930er Jahre schließlich in Frankfurt am Main sowohl Honorarprofessor an der Universität als auch Direktor des Museums für Völkerkunde wurde. Der wissenschaftliche Ertrag seiner Unternehmungen ist jedoch bereits zu seinen Lebzeiten umstritten, seine Forschungsmethoden fragwürdig, seine Sammeltätigkeit gilt heute „als Paradebeispiel für jene kolonialistische Plünderung, die von vielen afrikanischen Staaten beklagt wird“ (Kramer 2005, 30). Frobenius‘ kulturhistorischen bzw. -philosophischen Überlegungen zu Entwicklung und Wesen ‚der‘ Kultur (Paideuma) hingegen fallen in der Übergangszeit zwischen den Weltkriegen gerade im Bildungsbürgertum Deutschlands auf fruchtbaren Boden. Sein Verständnis von Kultur als Organismus, der wächst, reift und vergeht, sichert ihm nicht nur das Interesse Oswald Spenglers (mit dem er eine Zeitlang zusammenarbeitet), sondern auch ein breites Publikum jenseits der Akademie, das auf der Suche nach Deutungsmustern für die politisch als Misere empfundene Zwischenkriegszeit der Weimarer Republik ist. Mit Spengler verbindet ihn auch eine Haltung, die in der Demokratie das Ende der Kultur erblickt.
2. Frobenius glorifiziert das historische und verachtet das zeitgenössische Afrika, gilt jedoch gleichzeitig als erster Kulturwissenschaftler, der Afrika eine eigenständige Kultur zuerkennt und damit zu einer Inspiration der Négritude wird.
Der Großvater – seit 1871 Direktor des Berliner Zoologischen Gartens mit engen Beziehungen zu bedeutenden Afrikareisenden – hat einen prägenden Einfluss auf das Interesse seines Enkels am afrikanischen Kontinent. Besonders die Institution des Sakralkönigs, der mit seinem Leben für die prosperierende Ordnung des Staates einsteht, hat es dem „monarchistischen Offizierssohn“ (Streck) angetan. So kommt es, dass Frobenius trotz seines konservativen Weltbilds und entgegen der bisherigen europäischen geisteswissenschaftlichen Tradition ‚den Afrikanern‘ nicht nur eine eigene, sondern sogar eine glanzvolle Geschichte zugesteht. Er bewundert die vergangene Größe Afrikas, wie sie durch die Gesänge der „Griots“ vermittelt wird und erkennt im Laufe seiner Expeditionen mit erstaunlicher Klarheit, welche Zerstörung die Europäer in den afrikanischen Gesellschaften anrichten. Dessen ungeachtet bejaht er den Kolonialismus als politisches und ökonomisches System und verachtet diejenigen Afrikaner, die sich den europäischen Verhältnissen anzupassen suchen („Stationsgesindel“). Etwaige Reformvorschläge von seiner Seite zielen nicht auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der lokalen Bevölkerung, sondern auf die effizientere Ausnutzung ihrer Arbeitskraft („...daß es gelingen muß, den Neger nicht nur zu verstehen, sondern ihm auch sehr weit entgegenzukommen, wenn wir zu einer vollen Ausnützung seiner Arbeitskraft gelangen wollen“). Vor diesem Hintergrund muss es denn auch als ein „produktives Missverständnis“ (Fritz Kramer) bezeichnet werden, wenn die antikoloniale Négritude-Bewegung der 1930er Jahre, allen voran Léopold Sédar Senghor, sich auf eben diesen Frobenius beruft.
→ JOACHIM QUÄCK
Joachim Quäck kam circa 1800 im südost-brasilianischen Urwald auf die Welt. Unter dem Namen Nuguäck wuchs er bei den Botokuden auf und verbrachte anschließend seine Jugend bei katholischen Portugiesen, weshalb er neben Krenak, der Sprache der Botokuden, auch fließend Portugiesisch sprach. Dort wurde auch er in die katholische Religion eingeführt und auf den Namen Joachim Quäck getauft.
↑ Brustbild des Botukuden Quäck (Bildquelle d)
Im Alter von 17 Jahren traf er auf den deutschen Ethnologen und Naturforscher Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied, der derzeit auf Forschungsreise in Brasilien war. Kern seiner Untersuchung waren, neben der Flora und Fauna Brasiliens, die Botokuden. Joachim Quäck schloss sich dem Forscher an. Dabei war er nicht nur bei wissenschaftlichen Fragen zu den Botokuden behilflich, sondern vermittelte auch zwischen anderen Einheimischen und dem Prinzen. Nachdem Joachim mehrere Wochen die Forschungsarbeit begleitet hatte, folgte er dem Prinzen schließlich im Februar 1818 nach Europa, genauer in Koblenz‘ Nachbarstadt Neuwied.
Damit dies möglich war, musste Maximilian zu Wied-Neuwied den jungen Brasilianer in dessen Heimat mit Geld auslösen. In Neuwied angekommen, diente Quäck zwar offiziell als Kammerdiener, die eigentlichen Beweggründe des Prinzen, Joachim mit nach Deutschland zu nehmen, waren jedoch andere: Einerseits nahm Joachim während des Schreibprozesses des Prinzen die Funktion eines beratenden Experten ein und sollte somit die Richtigkeit der Angaben über die Botokuden sicherstellen. Andererseits erhoffte sich der Hausherr mit seinem Bediensteten eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Eine bessere Werbung für seine Werke konnte er sich nicht vorstellen und sein Plan ging auf: „Unglaublich schnell verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft eines Wilden durch die Stadt, und erregte allgemeine Neugierde, ihn zu sehen. – Das Gebäude, worin er sich befand war den ganzen Tag, so wie auch die nächstfolgenden von dichten Menschenmassen belagert und sein Zimmer nie leer.“
Quäck fand sich scheinbar gut in der neuen Umgebung zurecht und galt als überaus höflich und kontaktfreudig. Wie sehr er sich an sein neues Lebensumfeld anpasste, wurde vor allem in folgender Situation deutlich: Man berichtete ihm eines Tages von anderen Botokuden, die in Europa angekommen seien, doch die erwartete freudige Reaktion blieb aus. Quäck habe sich panisch versteckt und sei der Überzeugung gewesen, Botokuden seien ‚Kanibal*innen‘. Scheinbar hatte sich Joachim Quäck nicht nur oberflächlich in seiner Mode und seinem Sprachgebrauch verändert. Er glaubte auch an die Erzählungen der Kolonialmächte. Wichtig ist jedoch auch an dieser Stelle anzumerken, dass es Quäck selbst war, der dem deutschen Ethnologen von dem scheinbaren Kannibalismus der Botokuden erzählte. Demnach war der junge Informant schon vor seinem Umzug nach Deutschland von dem kannibalistischen Handeln der Botokuden überzeugt. Unter dem Vorwand dieser Unterstellung wurden die Botokuden bis in die 1980er Jahre verfolgt, wobei nur wenige überlebten.
Doch trotz der vermeintlichen Zugehörigkeit zu seinem neuen Umfeld, fühlte er sich in Neuwied nicht beheimatet. Zunehmend sehnte sich Quäck nach seinen brasilianischen Wurzeln, was zur Folge hatte, dass er sich aus der Gesellschaft zurück zog und in den Alkoholismus flüchtete. Auch wenn zu Wied, um diesen Alkoholkonsum zu unterbinden, ab sofort den Ausschank von Alkohol auf seinem Hof strikt untersagte, trank Quäck weiter, bis das fürstlich wiedische Hofmarschallamt schließlich die Öffentlichkeit um Mithilfe bat. So erschien Ende Mai 1834 ein Aufruf in der wöchentlichen Zeitung, die Gastwirte mögen es auch in ihren Wirtschaften untersagen, Alkohol an den Brasilianer auszuschenken.
Über Quäcks Heimweh schrieb Maximilian zu Wied-Neuwied später:
„All jene Wilde, welche man aus ihren mütterlichen Urwäldern entfernt, und in die Gesellschaft der Europäer gezogen hat, hielten wohl eine Zeit lang diesen Zwang aus, sehnten sich indessen immer nach ihrem Geburtsorte zurück und entflohen oft, wenn man ihren Wünschen nicht Gehör gab.“
Am 1. Juni 1834 starb Joachim Quäck, ursprünglich Nuguäck, im Alter von 34 Jahren in Neuwied an den Folgen einer Leberentzündung. Nach seinem Tod obduzierte man Quäcks Schädel und gab ihn in die Abteilung "Schädel fremder Raçen" der Anthropologischen Sammlung des Anatomischen Museums der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität-Bonn. Als Zeichen der Versöhnung, wurde der Schädel auf Nachfrage einer Vertreterin der brasilianischen Stadt Jequitinhonha schließlich wieder nach Brasilien überführt. In einer feierlichen Zeremonie wurde Joachim Quäcks Schädel am 15. Mai 2011 den Botokuden überreicht.
Quellen: 26, 27, 28
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